Strassburg rügt schweizer Sorgerecht Unverheirateter
Die Schweiz hat einen neuen Vatertag: Der 3. Dezember 2009 wird in die Geschichte eingehen. Es ist der Tag, an dem der Europäische Gerichtshof für die Menschenrechte (EGMR) in Strassburg die Schweizerische Praxis des automatischen alleinigen Sorgerechtes für unverheiratete Mutter als Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot und das Recht auf ein Familienleben verurteilt hat. Ab sofort kann jeder ledige Vater das gemeinsame Sorgerecht vor Gericht verlangen - trotz anderslautendem Gesetzparagraphen.
Unverheiratete Väter haben in der Schweiz keine Chance auf das Sorgerecht für ein gemeinsames Kind, wenn die Mutter dies nicht will. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat diese Rechtslage nun gekippt: Die Bevorzugung von unverheirateten Müttern gegenüber den Vätern sei ein Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot.
Damit gaben die Straßburger Richter einem 45-jährigen Kläger aus Köln Recht, der seit acht Jahren vergeblich um das Sorgerecht für seine 14-jährige Tochter kämpft. Der Vater lebt seit 1998 von der Mutter getrennt, damals war das Mädchen drei Jahre alt. Obwohl sich das Paar in vielen Dingen einig war und die Mutter auch mit großzügigen Besuchen einverstanden war, lehnte sie eine gemeinsame Sorgerechtserklärung ab.
Bereits 2003 war der Mann vor den Kadi gezogen. Das Kölner Oberlandesgericht wies seine Forderung nach einem gemeinsamen Sorgerecht allerdings zurück. Vor dem Straßburger Gerichtshof machte er das Diskriminierungsverbot (Art. 14) und einen Verstoß gegen die Achtung des Familienlebens (Art. 8) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geltend. Er will unter anderem darüber mitentscheiden können, wo das Kind lebt und zur Schule geht. Die deutsche Bundesregierung hatte dagegen erklärt, dass das Einverständnis der Mutter für die Gewährung eines gemeinsamen Sorgerechts notwendig sei, um den Schutz des Kindes zu gewährleisten.
In der Schweiz ist somit der Artikel 298.1 des ZGB ("Sind die Eltern nicht verheiratet, so steht die elterliche Sorge der Mutter zu.") hinfällig geworden. Doch die schweizerische Politik tut sich schwer, die offensichtlichen Verletzungen der EMRK in Gesetz und Praxis zu beseitigen. Der Gesetzwurf zur gemeinsamen elterlichen Sorge im Regelfall, der nach Abschluss der Vernehmlassung durch das Bundesamt für Justiz überarbeitet wurde, liegt seit Monaten in den Schubladen von Eveline Widmer-Schlumpf. Wir hoffen, dass Urteile wie dieses dazu führen, dass endlich auch in der Schweiz mit der Einhaltung der Menschenrechte vorwärts gemacht wird.
Urteil des EGMR im Wortlaut (englisch)
Deutsche Zusammenfassung des Urteils:
Kammerurteil
Zaunegger gegen Deutschland (Beschwerde-Nr. 22028/04)
AUSSCHLUSS EINER GERICHTLICHEN EINZELFALLPRÜFUNG DER SORGERECHTS-REGELUNG DISKRIMINIERT VATER EINES UNEHELICHEN KINDES
Verletzung von Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention
Zusammenfassung des Sachverhalts
Der Beschwerdeführer, Horst Zaunegger, ist deutscher Staatsangehöriger, 1964 geboren, und lebt in Pulheim. Er hat eine uneheliche Tochter, die 1995 geboren wurde und bei beiden Eltern aufwuchs bis diese sich 1998 trennten. Danach lebte das Kind bis zum Januar 2001 beim Vater. Nach dem Umzug des Kindes in die Wohnung der Mutter trafen die Eltern unter Vermittlung des Jugendamtes eine Umgangsvereinbarung, die regelmäßigen Kontakt des Vaters mit dem Kind vorsah.
Gemäß § 1626 a Absatz 2 BGB hatte die Mutter das alleinige Sorgerecht für das Kind. Da sie nicht bereit war, einer gemeinsamen Sorgeerklärung zuzustimmen, beantragte der Beschwerdeführer die gerichtliche Zuweisung des gemeinsamen Sorgerechts. Das Amtsgericht Köln lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass nach deutschem Recht Eltern unehelicher Kinder die gemeinsame Sorge nur durch eine gemeinsame Erklärung, durch Heirat oder durch gerichtliche Übertragung mit Zustimmung der Mutter nach § 1672 Absatz 1 erlangen können. Das Oberlandesgericht Köln bestätigte die Entscheidung im Oktober 2003.
Beide Gerichte bezogen sich auf ein Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2003, das § 1626 a BGB im Wesentlichen für verfassungsgemäß erklärt hatte. Für Paare mit unehelichen Kindern, die sich nach dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 getrennt hatten, findet die Bestimmung Anwendung.
Am 15. Dezember 2003 wies das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zurück.
Der Beschwerdeführer beklagte sich insbesondere unter Berufung auf Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8, dass die Anwendung von § 1626 a Absatz 2 BGB unverheiratete Väter wegen ihres Geschlechts und im Verhältnis zu geschiedenen Vätern diskriminiere.
Die Beschwerde wurde am 15. Juni 2004 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt.
Das Urteil wurde von einer Kammer mit sieben Richtern gefällt, die sich wie folgt zusammensetzte:
Peer Lorenzen (Dänemark), Präsident,
Karel Jungwiert (Tschechien),
Rait Maruste (Estland),
Mark Villiger (Liechtenstein),
Isabelle Berro-Lefèvre (Monaco),
Mirjana Lazarova Trajkovska (ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien), Richter,
Bertram Schmitt (Deutschland), Richter ad hoc
und Stephen Phillips, Stellvertretender Sektionskanzler.
Entscheidung des Gerichtshofs
Der Gerichtshof stellte fest, dass der Beschwerdeführer mit der Ablehnung des Antrags auf gerichtliche Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts ohne weitere Prüfung, ob dadurch die Interessen des Kindes gefährdet würden, anders behandelt worden war als die Mutter und als verheiratete Väter. Um zu prüfen, ob es sich dabei um eine Diskriminierung im Sinne von Artikel 14 handelte, erwog der Gerichtshof zunächst, dass § 1626 a BGB, auf dessen Grundlage die deutschen Gerichte entschieden hatten, auf den Schutz des Kindeswohls abzielt. Die Regelung soll gewährleisten, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die klar als gesetzlicher Vertreter handeln kann, und Konflikte zwischen den Eltern über Sorgerechtsfragen zum Nachteil des Kindes vermeiden. Die Gerichtsentscheidungen hatten demnach einen legitimen Zweck verfolgt.
Weiterhin nahm der Gerichtshof zur Kenntnis, dass es stichhaltige Gründe geben kann, dem Vater eines unehelichen Kindes die Teilhabe an der elterlichen Sorge abzusprechen, etwa wenn ein Mangel an Kommunikation zwischen den Eltern droht, dem Kindeswohl zu schaden. Diese Erwägungen ließen sich auf den vorliegenden Fall aber nicht anwenden, da der Beschwerdeführer sich weiterhin regelmäßig um sein Kind kümmert.
Der Gerichtshof teilte die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter grundsätzlich dem Kindeswohl zuwiderlaufe. Gerichtsverfahren zur Regelung der elterlichen Sorge könnten auf ein Kind zwar verstörend wirken, allerdings sieht das deutsche Recht eine gerichtliche Überprüfung der Sorgerechtsregelung in Trennungsfällen vor, in denen die Eltern verheiratet sind, oder waren, oder eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben. Der Gerichtshof sah keine hinreichenden Gründe, warum die Situation im vorliegenden Fall weniger gerichtliche Prüfungsmöglichkeiten zulassen sollte.
Folglich war der generelle Ausschluss einer gerichtlichen Prüfung des alleinigen Sorgerechts der Mutter im Hinblick auf den verfolgten Zweck, nämlich den Schutz der Interessen des unehelichen Kindes, nicht verhältnismäßig. Der Gerichtshof kam daher mit sechs Stimmen zu einer Stimme zu dem Schluss, dass eine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 vorlag.
Richter Schmitt äußerte eine abweichende Meinung, die dem Urteil angefügt ist.
Der Gerichtshof vertrat außerdem einstimmig, dass die Feststellung einer Verletzung der Konvention eine ausreichende gerechte Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden darstellt.