Auch im Kanton Zürich gibt es jetzt ein Männerhaus
Die Idee der Männerhäuser findet immer mehr Anklang. Nach dem "Zwüschehalt" im Aargau hat nun auch ein Pfarrer in Erlenbach eine Zufluchtsstätte für geschiedene Männer geschaffen. Ehemänner, die es zu Hause nicht mehr aushalten, dürfen da für ein paar Tage, Wochen oder für ein halbes Jahr unterkommen, bis sie etwas Neues gefunden haben.
Heute im Tages-Anzeiger:
Mitten in Erlenbachs Unterdorf, 50 Meter vom Schiffssteg entfernt, fast direkt am See: Das Scheidungsmänner-Haus hat eine Toplage. Beschriftet ist es mit «Restaurant Fischstübli», weil da einst eine Fischbeiz einquartiert war. Fortan sollen im alten Haus frisch getrennte und geschiedene Männer einen Schutzraum oder ein Nest finden. Die auf zwei Stockwerken verteilten fünf Zimmer plus Küche vermitteln dank Holztäfer und verwinkelten Treppenaufgängen ein warmes Ambiente. Erst recht die zwei Schlupfwinkel, wo mehrere Kinder übernachten können, wenn sie ihre Väter besuchen. Ehemänner, die es zu Hause nicht mehr aushalten, dürfen da für ein paar Tage, Wochen oder für ein halbes Jahr unterkommen, bis sie etwas Neues gefunden haben.
Das Scheidungsmänner-Haus Erlenbach ist ein Pionierprojekt, einmalig wahrscheinlich nicht nur in der Schweiz. Initiant ist der umtriebige Erlenbacher Pfarrer Andreas Cabalzar. Wie alle seine Projekte ist auch dieses aus der Seelsorge hervorgewachsen. Im Sommer hat er vier getrennte Männer begleitet. Unter ihnen einen 40-Jährigen, dessen Frau sich in einen anderen verliebt hat. Cabalzar: «Der Mann hat es nicht gemerkt, fühlte sich betrogen und beschämt. Von einem Tag auf den anderen verlor er Frau, zwei Kinder und die ökonomische Sicherheit.» Nach der anfänglichen Aggression gegen den Konkurrenten wurde er depressiv und suizidal, landete in der Klinik. Männer wie ihn will das Haus am See auffangen.
Cabalzar weiss, wie schwer sich Männer im Allgemeinen tun, Hilfe im richtigen Zeitpunkt zu holen. Als Pfarrer ist er legitimiert, auf Leute zuzugehen und ihnen Begleitung anzubieten. Aufsuchende Seelsorge nennt er das. Drei der vier getrennten Männer hat er selber kontaktiert; via Bekannte hatte er von ihrem Leid erfahren. Er respektiert es, wenn jemand mit der Kirche nichts zu tun haben will. «Meistens aber sind die Leute froh, von jemandem in ihrem Leid wahrgenommen zu werden.»
Cabalzar setzt auf die heilende Wirkung der Schicksalsgemeinschaft im Scheidungshaus. Viele Männer seien schlecht vernetzt und liefen Gefahr zu vereinsamen. Darum stört es ihn auch nicht, dass im Parterre ein Caterer eine Bar eröffnet. Dass auch Männer Hilfe brauchen, ist ein Tabu beim Thema Trennung. Das andere ist das eher als zu Ungunsten der Männer geltende Scheidungsrecht. «Oft wird das Besuchsrecht für Väter nicht umgesetzt, oder Mütter halten es nicht ein», sagt Andreas Baumann, der die Paar- und Eheberatungsstelle des Bezirks Meilen leitet.
Innerhalb des Projektes arbeitet Cabalzar eng mit diesem halb staatlichen, halb kirchlichen Zweckverband zusammen. Während er mehr seelsorgerlich wirkt, sorgt sich Baumann um das Rechtliche, versucht aber auch mit Mediation eskalierende Prozesse zu verhindern und kindergerechte Lösungen anzubieten. Das eigentliche Drama passiert für ihn meist vor der Scheidung, bei der Trennung: «Dann ist der Druck am grössten. Wut, Scham, Aggression, ja Gewalt ziehen den Männern den Boden unter den Füssen weg.» Noch bedrückender als die meist schwierige finanzielle Situation sei das Wegfallen des Familiensystems. Darum sollen im Scheidungshaus die Kinder ihre Väter besuchen können.
Laut Cabalzar haben 50 Prozent der Scheidungsmänner zwei Jahre nach der Scheidung keinen Kontakt mehr mit ihren Kindern. Da fast die Hälfte der Ehen geschieden werde, wachse ein Viertel der Kinder ohne regelmässige Vaterbeziehung auf. Der Pfarrer ist überzeugt, mit dem Projekt ein Problem von gesellschaftlicher Relevanz anzugehen.
Fast zur gleichen Zeit öffnet bei Aarau ein Haus mit zehn Plätzen für geschlagene Väter seine Tore. Auch im Erlenbacher Haus ist Platz für geschlagene Männer. Laut Baumann ist dieses Thema für Männer demütigender und tabubesetzter als das Verlassenwerden.
Als Pfarrer wusste Cabalzar, wie er unbürokratisch das Netzwerk der Kirchgemeinde und des Dorfes aktivieren und mit wenig Ressourcen sein Vorhaben verwirklichen kann. Beim neuen Besitzer des Hauses hat er eine günstige Miete ausgehandelt. Ehemalige Konfirmanden haben es saniert; ein Schreinerstift im 3. Lehrjahr hatte die Bauführung für das arg vernachlässigte Haus, das acht Jahre leer stand. Jedenfalls reichen die von der Kirchenpflege gesprochenen 6000 Franken für die anderthalbjährige Pilotphase. Mit den Mieteinnahmen der getrennten Männer will Cabalzar dann das Nachfolgeprojekt finanzieren: ein noch grösseres Geschiedenen-Haus mit einer eigentlichen Trägerschaft.