Alissa im Sommaruga-Land — ein Schweizer Märchen für Erwachsene
Alissa im Sommaruga-Land* — ein Schweizer Märchen für Erwachsene
Die Kinder sind heute ganz aufgeregt. Max hat im Fernsehen mitgekriegt, dass Königin Sommaruga sich dafür einsetzen will, dass es den Kindern besser geht.
Alissa (seine Freundin): Cool, sonst denken die dort oben doch nie an uns!
Max: Die Königin will, dass unsere Väter uns nun alle Früchte selbst geben, nicht mehr indirekt über unsere Mamis.
Alissa: ??... Die Feigen habe ich doch immer von Mami erhalten?
Doch alles schön der Reihe nach: Wissen muss man nämlich, dass Kinder im Lande der Königin jeden Tag eine Feige und eine Birne zum Leben brauchen. Wenn sie die jeden Tag bekommen, haben sie alles, was sie brauchen, und es geht es ihnen prima. Auch Alissa geht es gut: Sie erhält jeden Monat 60 Früchte: 30 Feigen und 30 Birnen. Max erhält alle seine 60 Früchte von seiner Mama. Er weiss aber, dass Papi ihr jeden Monat 30 Feigen gibt, die für ihn, Max, bestimmt sind, und die sie dann Max auch weitergibt. Die 30 Birnen erhält er von seiner Mama, sie sind von ihr selbst.
Max: Wer gibt eigentlich dir deine Früchte?
Alissa: Also bei uns ist es so: 6 Birnen gibt mir Papi und 24 erhalte ich von Mami. Die Feigen gibt mir Mami, aber sie erhält sie alle von Papi.
Max: Aber dann erhältst du ja von deiner Mami eigentlich nur 24 Früchte, die restlichen 36 aber eigentlich von deinem Papi!
Alissa: Das hab ich mir so nie überlegt. Hauptsache, ich erhalte jeden Tag meine Feige und meine Birne. Das klappt prima.
Max: Bei Melanie ist es anders: Sie hat mir gesagt, dass sie 15 Birnen von ihrem Vater und 15 von ihrer Mutter erhält. Bei den Feigen genau gleich: Fifty/fifty. Doch Königin Sommaruga will das ändern!
Alissa: Warum?
Max: Damit es uns Kindern besser geht, sagt sie! Sie will sicher sein, dass wir alle Früchte, die wir brauchen, auch wirklich erhalten. Darum will sie, dass unsere Väter die 60 Früchte uns künftig persönlich übergeben!
Alissa: Und was soll das? Das verstehe ich nicht!
Max: Ging mir am Anfang genauso. Nun hab ich's aber, glaube ich, kapiert. Pass auf, das würde z. B. in deinem Fall so gehen: Dein Vater gibt dir 30 Feigen. Die gibst du Mami, damit sie sie dir zurückgeben kann. Weiter gibt dein Vater dir die 6 Birnen, die du schon immer von ihm erhalten hast. Und zusätzlich gibt er dir weitere 24 Birnen. Auch die gibst du Mami, damit sie sie dir geben kann. Na dann rechne mal nach!
Alissa: Das geht in Ordnung, da kriege ich doch für jeden Tag meine 2 Früchte. Doch...
Max: Hast du's gemerkt?
Alissa: Ich verstehe nur nicht, warum Königin Sommaruga meint, mit dieser komplizierten und neumodischen Geschichte gehe es mir dann besser.
Max: Weil nur, wenn du alles direkt von deinem Vater erhältst, du auch sicher sein kannst, dass nichts was dir gehört, bei deiner Mama landet!
Alissa: ???
Max: ???
Alissa: Das sehe ich anders. Das ist doch genau umgekehrt! Jetzt erhalte ich die 24 Birnen von meiner Mutter. Nach der Idee der Königin, erhalte ich sie neu eigentlich aber von meinem Papi. Denn er gibt sie mir nur, damit ich sie Mama geben kann, damit sie sie wiederum mir zurückgeben kann. Da fällt mir gerade auf...
Max: Unglaublich!
Alissa: Was?
Max: Wir müssen der Königin schreiben. Ich glaube sie hat etwas übersehen!
Alissa: Genau, irgendwas stimmt doch nicht! Das ist aber schwer zu erklären. Sind da nicht unsere Väter die Lackierten?
Max: Mein Papa versteht es auch nicht. Er hat nur den Kopf geschüttelt: Damit würde ja meine Mutter mir gar keine eigenen Früchte mehr geben!
Den Kopf schütteln auch viele andere Väter im Lande der Königin. Und wenn sie nicht vor Kummer gestorben sind, leben sie noch heute.
*) Am 4. Juli 2012 hat Bundesrätin Sommaruga, angeblich um das Recht des Kindes auf Unterhalt zu stärken, den Medien einen Vorentwurf (VE) für eine Modernisierung des Kinderunterhaltsrechts vorgestellt und in die Vernehmlassung geschickt: http://www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2012/2012-07-042.html.
Der VE ist für Nichtjuristen schwer verständlich und dessen Folgen kaum zu durchschauen. mannschafft hat ihn durchleuchtet und beurteilt ihn als Mogelpackung, die abzulehnen ist! Dies unter anderem, weil der VE die Mütter von der Betreuungspflicht entlastet, die Väter zusätzlich belastet und den Kindern wenig bringt. Das Märchen von Alissa soll mithelfen, auch Nichtjuristen einen Hauch von Ahnung für die Stossrichtung des VE zu verschaffen. Es zeigt auf, dass im Lande der Königin bereits heute etwas schief läuft und dass die Schieflage nach der neuen Idee der Königin noch schlimmer würde.
Dabei bedeuten:
Die Birnen den Betreuungsaufwand (les poires correspondent a l'effort pour la prise en charge)
Die Feigen den Finanzaufwand (les figues correspondent a l'effort financiere)
Die beiden Früchte den Aufwand für das Kind (les deux fruits correspondent a l'effort pour l'enfant)